25.9.05

Im CD-Wechsler (Wochen 36–39 / 2005)

***** – Bettye LaVette, «I've Got My Own Hell To Raise» (Anti-)
Was für eine Stimme! Einfach sackstark. Die 59-jährige Betty LaVette, die in den Sixties etliche Soul-Singles veröffentlicht hat singt auf dem von Singer/Songwriter Joe Henry produzierten Album zehn Songs, alle von Frauen (darunter «Joy» von Lucinda Wiliams, «Little Sparrow» von Dolly Parton, «I Do Not Want What I Haven`t Got» von Sinead O’Connor), mit einer Dringlichkeit, welche die Originale verblassen lässt. Ihre Mischung aus Soul und Blues und Rock und Rhythm&Blues (aber nicht, was heute als R&B gilt) macht Hühnerhaut.

**** – Hank Shizzoe & The Directors, «Out and About» (SoundService)
Der zweite Schweizer, der in diesem doch sehr amerikanisch geprägten Blog zu Ehren kommt (nach Urban Junior). Hank Shizzoe (bürgerlich Thomas Erb) ist schon seit langem ein Ausnahmegitarrist und ein guter Songwriter. Seine Musik, an Vorbildern wie JJ Cale und John Fogerty geschult, ist für einen Schweizer unglaublich laid back und stimmungsvoll. Sein neues Album ist noch besser als seine früheren. Und mit «Your Luck Will Find You», seiner englischen Adaption eines Berner Mundarthits, zeigt Shizzoe nebenbei, dass Songs von Züri West nicht nur auf Berndeutsch funktionieren, sondern universell sind.

***1/2 – Donna The Buffalo, «Life’s a Ride» (Wildlife)
Donna The Buffalo ist die Band des Singer/Songwriter-Paars Tara Nevins und Jeb Puryear aus der Provinz im US-Staat New York, und sie teilen sich auch den Leadgesang. Sie verschmelzen auf eine leicht und beschwingt wirkende Art Folk, Country, Rock, Reggae, Cajun und Zydeco zu einer sehr tanzbaren Mischung (und sind damit offenbar vor allem live auch sehr erfolgreich). Auf dem neuen Album wirkt sich die neue Keyboarderin Kathy Ziegler (Lowery Organ, Synthesizer, Clavinet) hörbar aus.

***1/2 – The Morells, «Think About It» (Hightone)
The Morells aus Springfield, Missouri, sind wohl so etwas wie in Fun-Projekt der Skeletons. Mit mitreissender Spielfreude bringen Gitarrist D. Clinton Thompson, Drummer Ron Gremp und Bassist Lou Whitney zusammen mit dem neuen Keyboarder Dudley Brown ein Rockabilly-geprägtes Potpurri mit Song wie «Let’s Dance On» von den Monkees und «Nadine» von Chuck Berry. Gehobener Partysound.

***1/2 – Jeff Black, «Tin Lilly» (Dualtone)
Mit seiner starken Stimme und guten Songs bringt Singer/Songwriter Jeff Black auf seinem vierten Album einmal mehr stimmungsvolle Roots-Klänge mit starken Anleihen aus Soul und Pop. Mit von der Partie sind der frühere Johnny-Cash-Bassist Dave Roe, der frühere Steve-Earle-Drummer Craig Wright, Mandolinist Sam Bush, Singer/Songwriter Will Kimbrough als Gitarrist und Produzent und die Singer/songwriter Kate Campbell und Matthew Ryan als Backroundsänger.

***1/2 – Johnny Hickman, «Palmhenge» (Campstore)
Der famose Teddy Morgan produzierte das Soloalbum von Cracker-Gitarrist Johnny Hickman. Mit einem Dutzend eigener Songs zwischen knochentrockenem Desert-Rock und leisen akustischen Songs überzeugt er auch solo. Neben Teddy Morgan sind unter anderen die Gitarristen David Immergluck und Bo Ramsey sowie Ken Coomer und Joey Burns von Calexico dabei.

*** – The Kentucky Headhunters, «Big Boss Man» (CBUJ)
Die Countryrock-Veteranen aus Kentucky interpretieren auf ihrem neuen Album eine Reihe von älteren Songs von Musikern, die sie beeinflusst haben, darunter Klassiker wie «Big Boss Man» (Luther Dixon), «Walkin’ After Midnight» (Fred Rose), «Hey Good Lookin’» und andere Songs von Hank Williams, «Like A Rolling Stone» von Bob Dylan und «I’m Down» von den Beatles. Die Songs werden jedoch keineswegs einfach nachgespielt, sondern die Headhunters gewinnen ihnen teils ganz neue Facetten ab.

*** – Martha Wainwright, «Martha Wainwright» (Zoe)
Martha Wainwright ist die Schwester des derzeit sehr gehypten Rufus Wainwright und also wie er ein Kind der Folk-Singer/Songwriter Louden Wainwright III und Kate McCarrigle. Marthas sehr persönliches Debütalbum ist irgendwo im weiten Feld zwischen Folk und Rock angesiedelt, gesanglich irgendwo zwischen Norah Jones und Patti Smith.

21.9.05

Sources (3): «No Depression»

«Surveying the past, present, and future of American music» heisst der neue Untertitel des Musikmagazins «No Depression», das mit seiner aktuellen Ausgabe (#59, September/October 2005) das zehnjährige Bestehen feiert. Die ersten zehn Jahre stand unter dem Titel «alt.country (whatever that is)».
Der Titel des von den Musikjournalisten Grant Alden und Peter Blackstock gegründeten und bis heute gemeinsam geleiteten Blattes bezieht sich auf das wegweisende Album «No Depression» von Uncle Tupelo von 1990, dessen Titel sich auf den Song «No Depression in Heaven» der Carter Family aus den Dreissigerjahren bezieht. Das Heft kam im September 1995 erstmals heraus. Der vierteljährliche Erscheinungsrhythmus wurde bereits nach einem Jahr auf zweimonatlich erhöht.
«No Depression» ist sicher das umfassendste Printmedium über die Musikgenres, die uns hier interessieren. Der Heftaufbau ist immer derselbe: Es beginnt mit Kurzstoffen wie Editorial («Hello Stranger»), Leserbriefen («Box Full of Letters»), Kurznews («Field Reportings»), Vorschau auf Neuerscheinungen («Please Release Me»), Nachrufen («Farther Along») und Konzertbesprechungen («Miked»). Die Rubrik «Town & Country» bringt jeweils etwa ein halbes Dutzend kürzere Porträts, bevor mit den «Extended Features» dann die Hauptgeschichten kommen, die teils etwas langatmig sind. In der aktuellen Nummer sind diese den North Mississippi Allstars, Rodney Crowell, Eliza Gilkyson, den Greencards, Son Volt, Richard Thompson, Marty Stuart, Charlie Sexton und Nickel Creek (Cover Story) gewidmet. Den Ausklang machen dann wieder kurze Stoffe: ein Essay («Sittin’ & Thinkin’»), Besprechungen von Wiederveröffentlichungen («Not Fade Away»), Besprechungen von Neuerscheinungen («Waxed») sowie Rubriken zu Filmen und Büchern. Die CD Reviews sind unterschiedlich lang, aber es sind immer sehr viele – in der aktuellen Ausgabe werden über 60 CDs besprochen.
Es gibt zudem eine Top-40 Chart, die auf den Reportings rund 30 einschlägiger Plattenläden quer durch die USA (sowie je einem in Australien und Schweden) basiert. Diese Liste ist durch das zweimonatliche Erscheinen jedoch meist schon etwas überholt – die Liste in der September/Oktober-Ausgabe etwa bezieht sich auf die Verkaufsmonate Mai/Juni (1. Rang: Ryan Adams, «Cold Roses»).
Einen guten Überblick über die Schwerpunkte von «No Depression» geben die Cover Stories aus zehn Jahren:
1995
#1 – Son Volt
1996
#2 – Blue Mountain
#3 – Steve Earle
#4 – Hank Williams, Honey Wilds
#5 – Wilco
#6 – Jason & The Scorchers
1997
#7 – The Waco Brothers
#8 – Bad Livers
#9 – Bottle Rockets
#10 – Whiskeytown
#11 – Robbie Fulks
#12 – Ricky Skaggs
1998
#13 – Victoria Williams & Mark Olson
#14 – Alejandro Escovedo
#15 – Ralph Stanley
#16 – Lucinda Williams
#17 – Emmylou Harris
#18 – Golden Smog
1999
#19 – Don Williams
#20 – Steve Earle & the Del McCoury Band
#21 – The Old 97’s
#22 – Gram Parsons
#23 – Buddy & Julie Miller
#24 – Dolly Parton
2000
#25 - «Ready for the Country» (Tift Merritt, Mike Ireland, Marah, Hayseed, Trailer Bride)
#26 – Jimmie Dale Gilmore
#26 – The Jayhawks
#28 – Loretta Lynn
#29 – Allison Moorer
#30 – Merle Haggard
2001
#31 – Rodney Crowell
#32 – (Billy Joe) Shaver
#33 – Lucinda Williams
#34 – Patty Loveless
#35 – Gillian Welch
#36 – Jay Farrar
2002
#37 – Kasey Chambers
#38 – Isaac Freeman
#39 – The Flatlanders (Jimmie Dale Gilmore, Joe Ely, Butch Hancock)
#40 – Kelly Willis
#41 – Guy Clark
#42 – Johnny Cash
2003
#43 – Alison Krauss & Union Station
#44 – Rosanne Cash
#45 – Little Miss Cornshucks
#46 – The Drive-By Truckers
#47 – Lyle Lovett
#48 – Bottle Rockets
2004
#49 – T-Bone Burnett
#50 – Patty Griffin
#51 – Loretta Lynn
#52 – Dave Alvin
#53 – Willie Nelson
#54 – Iris DeMent
2005
#55 – Mary Gauthier
#56 – Vic Chesnutt
#57 – John Prine
#58 – Lizz Wright
#59 – Nickel Creek

20.9.05

Bio Willie: Willie Nelson's Biodiesel

Willie Nelson engagiert sich nicht nur mit Farm Aid für die Farmerfamilien im Land. Unter dem Motto «Family Farmers growing fuel for America and the World» tut er jetzt gleichzeitig etwas für die Bauern und für die Umwelt: Unter dem Logo BIO WILLIE verkauft die Willie Nelson Biodiesel Company «Farm Fresh Biodiesel»! Zurzeit wird der Treibstoff frisch vom Bauern erst an acht Tankstellen in den USA angeboten: sechs in Texas (in Austin, Fort Worth, Amarillo, Keller bei Dallas/Fort Worth, Midlothian bei Dallas/Fort Worth und in Carl’s Corner zwischen Dallas und Waco), eine in Kalifornien (in Escondido bei San Diego) und eine in South Carolina (in Greer bei Greenville). Aber die Lancierung rollt erst richtig an. In der Trucker-Szene rührt Bill Mack, «The Satellite Cowboy», die Werbetrommel für Bio Willie Diesel.

2.9.05

Im CD-Wechsler (Woche 34/35 / 2005)

***** – Lucinda Williams, «Live @ The Fillmore», 2 CDs (Lost Highway)
Ein phantastisches Livealbum! Monatelang ist die Doppel-CD bei mir herum gelegen, bis ich sie endlich mal in den Player schob. Und dann so ein Hammer! Intensiv, ohne Mätzchen. Lucinda Williams’ Band mit Musikern aus dem Umfeld von Dwight Yoakam und Pete Anderson ist traumhauft gut: Gitarrist Doug Pettibone setzt zwar Akzente, aber zurückhaltend, ganz im Sinne der Songs und im Dienste der Chefin. Bassist Taras Prodaniuk und Drummer Jim Christie legen den grösstenteils eher getragenen Rhythmusteppich unaufdringlich und gefühlvoll aus. Und Lucinda Williams haucht und hechelt, stöhnt und schreit, grummelt und greint – einfach perfekt. Manche ihrer Songs – das Programm umfasst Titel aus den letzten rund zwanzig Jahren – haben noch nie so gut geklungen.

****1/2 – BoDeans, «Hombrewed. Live from the Pabst», 2 CDs (Back Porch)
Die BoDeans aus Waukesha, Wisconsin, waren mit ihrem Debüt Mitte der Achtzigerjahre aus dem Stand eine meiner Lieblingsbands geworden. « Love & Hope & Sex & Dreams» war ihr erstes Album, produziert von T-Bone Burnett. Und ich kaufte damals alles, wo drauf stand «produced by T-Bone Burnett» (auch wenn J. Henry «T-Bone» Burnett Bob Dylan dazu gebracht hatte, Katholik zu werden).
Zum zwanzigjährigen Bestehen der Band haben die BoDeans am 31. Dezember 2004 im Pabst Theatre in Milwaukee ein mitreissendes Konzert gespielt, das es jetzt auf einer Doppel-CD gibt. Kurt Neumann und Sammy Llanas, die beiden Songwriter, Sänger und Gitarristen der Band, sowie Bassist Bob Griffin, der auch schon seit den Anfängen dabei ist, werden ergänzt durch den versierten und gefühlvollen Drummer Kenny Aronoff (der u.v.a. John Mellencamp begleitete) und den jungen Keyboarder/Akkordeonisten Bukka Allen (der Sohn eines meiner Helden: Terry Allen).
Es muss ein tolles Konzert gewesen sein. Auf den CDs jedenfalls hört sich der melodiös-melancholische Rock ’n’ Roll von Neumann und Llanas wunderbar an, und selbst Songs von ihrem allerersten Album wie «She’s a Runaway» und «Fadeaway» klingen ganz schön frisch und zeitgemäss.

**** – Robyn Ludwick, «For So Long» (Late Show Records)
Robyn Ludwick ist die kleine Schwester der texanischen Singer/Songwriter Bruce und Charlie Robison. Und auch sie versteht es, starke Songs zu schreiben. Und diese Stimme! Leicht «schmirgelnd», eindringlich, und dass man manchmal das Gefühl hat, jetzt trifft sich gleich den richtigen Ton nicht mehr, macht sie nur noch interessanter. Schöne Melodien, stimmig eingespielt zwischen Folk und Country mit ein bisschen Bluegrass und einer Prise Rock. Produziert hat der Multiinsrumentalist (und Banjo-Wizard) Danny Barnes (ex Bad Livers). Und ein bisschen Unterstützung gibt es auch aus dem Familienkreis, etwa durch Schwägerin Kelly Willis (harmony vocals). Eine Entdeckung!

*** – Sarah Lee Guthrie & Johnny Irion, «Exploration» (New West)
Schon im Frühjahr ist dieses Album erschienen, und nachdem ich immer wieder Gutes darüber gehört habe, machte ich den Versuch doch noch. Denn mit dem Debüt von Sarah Lee Guthrie (die als Tochter von Arlo Guthrie und Enkelin von Legende Woody Guthrie einens schweren familiären Rucksack schleppt) vor vier Jahren fand konnte ich gar nichts anfangen. Es war fad, langweilig, uninspiert und klang ein bisschen unbeholfen. Nun zusammen mit Ehemann Johnny Irion klingt Sarah Lee Guthrie in der Tat viel besser. Am Anfang ist es etwas irritierend: Man hört eine hohe Stimme, denkt, das sei wohl Sarah, doch dann setzt ihre noch höhere, glockenhelle Stimme ein, und man merkt, dass das Johnny Irion war. Aber die beiden Stimmen ergänzen sich schön, und der Folk-Country-Sound kann sich hören lassen.

1.9.05

20 Jahre Farm Aid

Mit einer ganzen Veranstaltungsreihe an verschiedenen Orten in Illinois, auch in Chicago, wird das 20-jährige Bestehen von Farm Aid gefeiert. Höhepunkt wird das alljährliche Benefitkonzert sein, das am 18. September im Tweeter Center in Tinley Park, IL stattfindet. Neben den Farm-Aid-Gründern Willie Nelson, Neil Young und John Mellencamp sowie dem 2001 ebenfalls ins Farm Aid Board of Directors aufgenommenen Dave Matthews stehen weitere Stars auf dem Programm: Arlo Guthrie, Buddy Guy, Emmylou Harris, John Mayer, Kenny Chesney, Los Lonely Boys, Susan Tedeschi, Widespread Panic und Wilco.
Willie Nelson, Neil Young und John Mellencamp organisierten das erste Farm Aid Konzert 1985 in Champaign, Illinois mit dem Ziel, das Bewusstsein für das «Bauernsterben» zu wecken und Geld zu sammeln, um Farmerfamilien auf ihrem Land halten zu können. Farm Aid hat über 27 Millionen Dollar gesammelt, um Familienfarmen zu stärken. Durch Bildungsmassnahmen und direkte Beiträge fördert Farm Aid regionale und lokale Anstrengungen für Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln durch Bauernfamilien

No Depression: Top 25 CDs von Mitte 1995 bis Mitte 2005

Zum zehnjährigen Bestehen des US-Musikmagazins No Depression haben Redaktion und regelmässige Mitarbeiter die 25 Top-CDs aus dieser Zeit – Mitte 1995 bis Mitte 2005 – gewählt:
1. Lucinda Williams, Car Wheels On A Gravel Road (1998)
2. Son Volt, Trace (1995)
3. Gillian Welch, Time (The Revelator) (2001)
4. Various Artists, O Brother, Where Art Thou? (Soundtrack) (2000)
5. Bob Dylan, Love And Theft (2001)
6. Whiskeytown, Strangers Almanac (1997)
7. Steve Earle, I Feel Alright (1996)
8. Billy Bragg & Wilco, Mermaid Avenue (1998)
9. Emmylou Harris, Wrecking Ball (1995)
10. Patty Loveless, Mountain Soul (2001)
11. Rodney Crowell, The Houston Kid (2001)
12. Marah, Kids In Philly (2000)
13. Bob Dylan, Time Out Of Mind (1997)
14. Wilco, Yankee Hotel Foxtrot (2002)
15. Dixie Chicks, Home (2002)
16. Caitlin Cary, While You Weren’t Looking (2002)
17. Robbie Fulks, South Mouth (1997)
18. Alejandro Escovedo, A Man Under The Influence (2001)
19. Shelby Lynne, I Am Shelby Lynne (2000)
20. Mike Ireland & Holler, Try Again (2002)
20. Johnny Cash, Unchained (1996)
22. Richard Buckner, Devotion + Doubt (1997)
22. Joe Henry, Trampoline (1996)
24. Loretta Lynn, Van Lear Rose (2004)
25. Bottle Rockets, 24 Hours A Day (1997)